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Donnerstag, 5. Mai 2016

Virtuos und nachdenklich

Daniil Trifonov gilt als eines der größten Klavier-Talente der jungen Generation

Hymnische Kritiken zu be- kau zu gewinnen. Dem 16. Komposition – „mit Blick auf
kommen, ist heutzutage Chopin-Wettbewerb war er die Zukunft“, wie er sagt. Als
nicht schwer. Die Frage ist schon vorher einen dritten Pianist jedenfalls sieht diese
immer, von wem. Der 25-jäh- Preis wert. Martha Argerich Zukunft glänzend aus: Die
rige Russe Daniil Trifonov und Krystian Zimerman wur- „Süddeutsche Zeitung“
hat sie nicht aus einer gut ge- den in Warschau auf den schwärmte in den höchsten
schmierten PR-Maschinerie, Newcomer aus Nischnij- Tönen und bezeichnet den
sondern von Kritikern, deren Nowgorod aufmerksam. jungen Pianisten als „eines
Kompetenz und Unabhän- Und wenn Argerich sagt, so der erfolgreichsten und un-
gigkeit erprobt sind. etwas habe sie noch nie ge- begreiflichsten Klaviertalen-
hört, hat das Gewicht. te der letzten Jahrzehnte“.
Der junge Mann scheint Und der „Spiegel“ schrieb,
sich zum Glück nicht als So haben sich die Portale Daniil Trifonovs Magie kön-
kompatibel für Kampagnen der Klavierwelt für Trifonov ne man sich kaum entziehen.
zu geben. Seine noch nicht weit geöffnet. Er spielt in Sä- Wenn er am 19. Mai zu sei-
inflationär verbreiteten Äu- len, die für andere Gipfel- nem vierten Auftritt beim
ßerungen in Interviews deu- punkt einer langen Karriere Klavier-Festival Ruhr ins
ten auf ein maßvolles, gezü- sind: Carnegie Hall New Konzerthaus Dortmund
geltes Selbstbewusstsein hin, York, Wigmore Hall London, kommt, hat er Werke des
das sich vor allem musika- Musikverein Wien, Suntory Schwerpunkt-Komponisten
lisch verwurzelt: So zitierte Hall Tokyo, Salle Pleyel Paris, 2016 im Gepäck: Er spielt
ihn das Programmheft des Amsterdamer Concertge- unter anderem Johannes
Klavier-Festivals Ruhr bei sei- bouw und Berliner Philhar- Brahms‘ Variationen über
nem Debüt 2012 mit dem monie. Dazu kommen jetzt ein Thema von Niccolò Paga-
Satz, er verstehe das Wort im Sommer renommierte nini (op. 35) und widmet sich
Karriere im musikalischen Festivals in Bad Kissingen In den großen Sälen zu Hause: Daniil Trifonov. FOTO: DARIO ACOSTA
Sinne. Auf der anderen Seite oder Verbier. Und wer mit
hatte er sein schon ein Jahr den Berliner und den New Franz Schuberts G-Dur-So-
zuvor geplantes Debüt bei Yorker Philharmonikern ter sich. Trifonov erweist sich Künstler, der sich nicht zu- nate (D 894) und Sergej
dem renommierten Ruhrge- spielt, mit dem Cleveland Or- als „formidabler Virtuoso“, letzt auch als Komponist be- Rachmaninows d-Moll-So-
biets-Tastenmarathon abge- chestra und den Wiener Phil- wie ihn die „New York währen will. Seine eigene nate op. 28. Ein breites
sagt, um nach dem Rubin- harmonikern, von dem lässt Times“ bei seinem Debüt im fünfsätzige „Rachmania- Spektrum also, das Stil und
stein-Wettbewerb in Tel Aviv sich getrost behaupten, er ha- August 2011 beschrieben na“-Suite hat er 2015 auf Ton- Sensibilität verlangt.
noch schnell den Tschai- be den Durchbruch nicht nur hat. Aber das ist nur die eine träger eingespielt. Trifonov
kowsky-Wettbewerb in Mos- geschafft, sondern längst hin- Seite. Die andere präsentiert studiert nach wie vor am C Do. 19. Mai 2016 ,
einen nachdenklichen Cleveland Institute of Music Konzerthaus Dortmund

Erfülltes, leuchtendes Klavierspiel

Krystian Zimerman kommt zu einem seiner seltenen Recitals nach Essen. Er spielt Schubert und Szymanowski

Als Joachim Kaiser 1982 die Krystian Zimerman: „Ich spiele den Grund, warum ein Komponist die Noten geschrieben hat.“FOTO:PETERWIELER die zum „Schwanengesang“
Neuauflage seines Buches des mit 31 Jahren an einer In-
„Große Pianisten in unserer 50 Auftritte im Jahr penibel wie er es sich vorstellt. Aber Nach seinem Debüt beim fektion gestorbenen Kompo-
Zeit“ veröffentlichte, war plant, Programme spät be- Zimerman geht es nicht um Klavier-Festival Ruhr im Jahr nisten stilisiert wurden. Zi-
Krystian Zimerman 25 Jahre kannt gibt oder kurzfristig das makellose Spiel, sondern 1992 war er sieben Mal zu merman widmet sich nach
alt. Der Kritiker schrieb da- ändert. Ein Künstler also, der um das, was hinter den No- Gast und erhielt 2014 den 25 Jahren also wieder dem
mals, Zimerman habe sich an sich Mainstream und Markt- ten liegt. „Ich spiele nicht die Preis des Klavier-Festivals. Œuvre Franz Schuberts, dem
die Spitze der jungen Pianis- gängigkeit verweigert. „Per- Noten“, sagt er. „Ich spiele 2016 kommt er am 13. Mai er 1991 mit einer Einspielung
ten gespielt, zunächst dank fektionistisch, exzentrisch“, den Grund, warum ein Kom- mit zwei der drei letzten gro- der acht „Impromptus“ seine
einer „erschreckenden, fast heißt es dann. Doch Zimer- ponist die Noten geschrieben ßen Klavierdramen Franz damals hochgepriesene Refe-
absurden Geläufigkeit“. man ficht das nicht an. Un- hat … Die Noten sind nicht Schuberts nach Essen zu- renz erwiesen hat. Doch da-
Doch in der h-Moll-Sonate ermüdlich sucht er nach We- die Kunst. Sie sind ein Me- rück – mit der A-Dur- und der bei bleibt es nicht: Mit vier
(op. 58) seines polnischen gen, bis er ein Stück so spielt, dium.“ B-Dur-Sonate (D 959/D960), von den 20 Mazurkas von
Landsmanns Frédéric Cho- Karol Szymanowski würdigt
pin komme er „über alles Zimerman seinen oft unter-
bloß Virtuose weit hinaus in schätzten Landsmann, der
die Bezirke großen, erfüllten, Elemente der französischen
leuchtenden Klavierspiels“. und russischen Moderne mit
polnischer Folkore und – im
Die Prophezeiungen sind Falle der Mazurken deutlich
eingetroffen: Krystian Zimer- – mit Einflüssen Frédéric
man ist heute ein Künstler, Chopins verschmolz.
bei dem das oft gedankenlos
vergebene Prädikat eines C Fr. 13. Mai 2016,
„Ausnahme“-Pianisten in- Philharmonie Essen,
haltlich zutrifft. Und das Alfried Krupp Saal
nicht, weil er seine höchstens
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