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Prokofjew-Projekt

Wunder gibt es immer wieder. Wunderkinder aber auch. Vermutlich würde Jan Lisiecki beschwörend die Hände heben und sagen, dass diese Zuschreibung eine allzu große Ehre für ihn bedeute. Und doch: Ein bisschen Wunderkind ist schon in ihm, zumindest muss man das glauben, wenn man sich durch seine staunenswerte Vita blättert.

Schon im zarten Alter von fünf Jahren nahm er am Mount Royal University Conservatory seiner Heimatstadt Calgary ein Klavierstudium auf; als Neunjähriger trat er erstmals als Solist mit Orchester auf, übersprang nebenher vier Schulklassen und setzte seine Studien als Stipendiat an eben jenem Ort fort, wo einst der große Glenn Gould das Licht der Welt erblickt hatte – in Toronto. Die Geschichte von Jan Lisiecki, dessen Eltern vor Jahrzehnten aus Polen nach Kanada auswanderten, ließe sich in dieser Art und Weise fortschreiben wie ein Roman. Doch wie es mit Wundern so ist, so ist es eben auch mit Wunderkindern. Sie müssen ihren Zauber – der Fall Lohengrin zeigt das mit unverminderter Härte – im realen Leben beglaubigen. Lisiecki war also gut beraten, den vielen Vorschlusslorbeeren die entsprechenden Taten folgen zu lassen. Und genau das geschah: Bald machte er sich vor allem als Mozart- und Chopin-Interpret einen Namen. Sein elegantes, fein durchdachtes, geschmeidiges und dabei nie oberflächliches Spiel erinnerte immer auch ein bisschen an die Kunst von Krystian Zimerman, eines der bedeutendsten Pianisten der Gegenwart, an dessen Noblesse. Nie stand dabei das Virtuose im Vordergrund, sondern eine Form poetischer Durchdringung des Notentextes. Wie Zimerman war auch Lisiecki kein Stürmer und Dränger, geschweige denn ein Tastenteufel. Hinter dem technischen Können blitzte stets auch der Edelmann durch, dem tiefschürfender Klangsinn wichtiger war als Klang-Rausch, der musikdramaturgisch plausible Affekt wesentlicher als ein momentaner Effekt. Hören konnte man das nicht nur bei Mozart, Schumann und Ravel, sondern auch in den Klavierkonzerten Ludwig van Beethovens, mit welchen er vor Jahren beim Klavier-Festival Ruhr zu Gast war. Kammermusikalische Clarté obsiegte hierin erkennbar über den Furor des „Revolutionärs“ Beethoven, artikulatorische Präzision über das wilde Denken.

Mit dieser klugen, unaufdringlichen und distinguierten Art, die Werke zu durchleuchten, hat sich Lisiecki in die Weltspitze vorgetastet. Wohlgemerkt: vorgetastet. Ekstase wird man in seinen Darbietungen vergebens suchen.

Und damit ist er auch genau der richtige Pianist, um in den kommenden beiden Spielzeiten beim Klavier-Festival Ruhr die fünf Klavierkonzerte von Sergei Prokofjew zu durchleuchten. Deren technische Hürden muten zwar aberwitzig hoch an, vor allem aber sind sie vom Geist des Neoklassizismus durchdrungen. Diese Werke gleichsam aus dem Geist Mozarts, Mendelssohns und Ravels – die neben Schumann und Beethoven ebenfalls zu Lisieckis favorisierten Komponisten zählen – zu interpretieren, wird ihnen weit gerechter als eine bloß virtuose Demonstration. Schon ihrem Schöpfer ging es darin um weit mehr als um die Zurschaustellung seiner eklatanten, nachgerade furchteinflößenden pianistischen Potenzen: Sergei Prokofjew erweist sich in vielen Passagen der Klavierkonzerte als ein Vertreter der klassischen Moderne, zudem als ein Tänzer und als ein Musiker, dem der Rhythmus und die Melodie weit mehr bedeuten als spät- oder neoromantischer Klangschaum. Lisieckis Musikverständnis kommt dem sehr nahe. Und in der von Tarmo Peltokoski geleiteten Deutschen Kammerphilharmonie Bremen hat der kanadische Solist eine Partnerin, die dieses Unterfangen hervorragend unterstützen und begleiten wird. Ein Wunder allerdings ist auch dies nicht. Sondern das Ergebnis einer jahrelangen seriösen Pflege der verfeinerten Klangkultur.

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