Mo. 07. Juli '25 20:00 Uhr
Bochum Anneliese Brost Musikforum Ruhr

Evgeny Kissin, Gidon Kremer & Ensemble

Evgeny Kissin, Gidon Kremer & Ensemble

Gnossiennes

€ 85 | 75 | 65 | 35 | 25

Arcadi Volodos auf dem Klavierfestival Ruhr 2020

Dmitri Schostakovitsch:
Vier Gedichte des Hauptmanns Lebjadkin Op. 146 
Trio für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 2 in e-Moll Op. 67 
Sonate für Viola und Klavier in C-Dur Op. 147 

Wie komponiert man möglichst frei, wenn das Leben um einen herum unfrei ist? Wenn ein Diktator das Land regiert, der sein Volk knechtet und alle unerbittlich verfolgt, die nicht auf Parteilinie sind? Für viele Künstler ist das Leben während der Stalin-Diktatur ein Leben in permanenter Angst. Auch für Dmitri Schostakowitsch. Er würde gern protestieren, seine Meinung laut kundtun. Aber er kann nicht. Er darf nicht. Jedes falsche Wort, jede falsche musikalische Botschaft könnte Verfolgung oder Tod bedeuten. Um zu überleben, schreibt er gelegentlich linientreue Filmmusiken, denn seine Sinfonien werden arguskritisch beäugt, seine Oper von der „Lady Macbeth von Mzensk“ ist längst verboten, seine reiche Kammermusik landet weitgehend in der Schublade. Selbst als Stalin 1953 stirbt, wirkt Schostakowitsch wie ein Gefangener, der nicht hinausfindet aus dem Teufelskreis von Unterdrückung, Entfremdung und Hoffnungslosigkeit. Selbst wenn er helle Töne, etwa für die Bläser, komponiert, wirken diese wie ein orientierungsloses Mäandern durch die Sphären des Unheils.

Im August 2025 jährt sich Schostakowitschs Todestag zum 50. Mal. Seine Musik gilt als unerschöpflich, modern und zeitlos zugleich. Die meist versteckten Botschaften, die er in ihr vermittelt, gelten auch heute noch oder wieder als aktuell. Daher hat der Pianist Evgeny Kissin für das Jahr 2025 Dmitri Schostakowitsch zum Schwerpunkt seiner musikalischen Arbeit erkoren. Wie passend daher, dass Kissin gleichzeitig Porträtkünstler beim Klavier-Festival ist.

Kissins Beschäftigung mit dem Werk Schostakowitschs reicht weit zurück in seine Kindheit. Im April 1986 nimmt der noch 14-Jährige im Konservatorium von Moskau das erste Klavierkonzert von Schostakowitsch auf, mit den „Moscow Virtuosi“ und Vladimir Spivakov. Noch kennt ihn die große Öffentlichkeit nicht, allenfalls einige Insider der Szene, dafür kennt er, Evgeny, dieses Schostakowitsch-Konzert sehr genau. Er hat es im Plattenschrank seiner Eltern entdeckt und ist davon in hohem Maße fasziniert.

Kissin wird im Oktober 1971 in Moskau geboren. Mit zwei Jahren beginnt er, nach Gehör auf dem Klavier zu improvisieren. Sein Talent bleibt nicht lange verborgen. „Ich habe mich selbst niemals als ein Kind am Klavier gefühlt. Und soweit ich das im Nachhinein sehe, haben mir die Menschen, die mich umgeben haben, auch nie den Eindruck vermittelt, dass ich noch ein Kind war.“ Früh begabt, früh gereift, früh erwachsen. Mit sechs Jahren besucht er eine Spezialschule für begabte Kinder, die Moskauer Gnessin-Musikschule, und wird dort Schüler von Anna Pawlowna Kantor. Noch kann er nicht ahnen, welche Bedeutung sie für ihn in seinem weiteren Leben spielen wird. Die Frau, die so gutmütig dreinschaut, als würde sie einem Enkel abends am Kamin die Musik von Väterchen Russland nahebringen, besitzt zugleich eine herbe Strenge. Frau Kantor bleibt über all die Jahre Kissins einzige Lehrerin, er wohnt mit ihr und seiner Mutter in London, sie gehen gemeinsam auf Konzertreisen.

Schon früh beweist Kissin außergewöhnliche musikalische Qualitäten, und die Musikwelt wird Zeuge, wie der Junge mit dem Wuschelkopf am 31. Dezember 1988 das Podium der Berliner Philharmonie betritt, hinter ihm der eisgraue Herbert von Karajan, der noch einmal sein Näschen über überragende Talente beweist, als er Kissin bei jenem Silvesterkonzert einem Millionenpublikum präsentiert und ihn mit Peter Tschaikowskys erstem Klavierkonzert brillieren lässt. „Natürlich war er schon ziemlich krank. Trotzdem war sein Händedruck sehr kräftig, auch seine Blicke besaßen etwas Durchdringendes“, erinnert sich Kissin später und erzählt, dass sie eigentlich das zweite Klavierkonzert von Brahms gemeinsam erarbeiten wollten. „Ich bedaure sehr, dass aus dem Brahms nichts geworden ist“, gibt der Pianist zu, der dieses Werk nach Karajans Tod mehr als ein Jahrzehnt nicht mehr angepackt hat.

Ob er den Namen Karajan überhaupt noch hören könne? „Aber gewiss“, entgegnet Kissin, schließlich sei er die wichtigste Erfahrung seines Lebens gewesen. Aber es muss ihm doch lästig sein, immer danach gefragt zu werden? Nein, warum sollte es? Der oft scheu wirkende Kissin besitzt eine ganz eigene, entwaffnende Art.

Er gibt zu, nicht gern allein zu sein, auch wenn er sehr viel Zeit mit der Musik oder mit Büchern verbringt. „Von Natur aus, bin ich jemand, der nicht allein sein möchte. Das sieht man auch daran, dass ich gern vor Publikum spiele. Selbst wenn ich mich zuhause mit Musik beschäftige, bin ich ja nicht wirklich allein.“

In jungen Jahren erlebt man Kissin oft mit virtuosem Repertoire, Chopin, Liszt, Rachmaninow, Prokofjew. Früh beackert er das romantische Repertoire aus verschiedenen Blickwinkeln, Schumann und Brahms zählen zu seinen Favoriten, schließlich Schubert. Mit Beethoven und Mozart lässt er sich Zeit. 2017 erscheint ein Doppel-Album mit Beethoven-Werken. Und staunend nimmt die Musikkritik zur Kenntnis: Dieser Mann ist längst gereift, das Mäntelchen vom Wunderkind hat er längst abgeworfen; und als Kissin im August bei den Salzburger Festspielen ein Programm mit Musik von Chopin, Alban Berg, George Gershwin und mit eigenen Kompositionen spielt, ist endgültig klar, welch stilistische Bandbreite sein Repertoire mittlerweile umfasst.

Jetzt also widmet er sich vor allem Schostakowitsch. Neben einem Solo-Rezital in Düsseldorf, bei dem neben Musik von Bach und Chopin vor allem Schostakowitschs zweite Klaviersonate und einige seiner Präludien und Fugen im Mittelpunkt stehen, wird es in Bochum auch einen hochkarätig besetzten Kammermusik-Abend geben: mit Kammermusik und Liedern von Schostakowitsch. Auf die Frage, was er an seiner Musik besonders schätzt, gibt Kissin fasst irritiert zur Antwort: „Wie kann man sagen, warum man etwas liebt? Da benötigt man keine Gründe. Man liebt einfach.“ Kissin ist ein Künstler, der, wenn gefragt, auch politisch entschieden Stellung bezieht. Aus seiner Verachtung für Unterdrückung und falsch verstandenen Nationalismus macht er keinen Hehl. Vielleicht ist es das, was die Musik von Schostakowitsch nicht nur für Evgeny Kissin so besonders macht.

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